Unser Antrieb: E-Mobilität für alle
12.15 Uhr an der Raststätte Grauholz bei Bern: Ein Elektroauto rollt zur Ladestation der BKW. Besetzt! Ein alter VW Käfer steht auf dem für Elektroautos reservierten Parkplatz! Die Lenkerin des Elektromobils steigt verärgert aus, denn so etwas passiert ihr nicht zum ersten Mal. Doch beim genauen Hinsehen bemerkt sie: Der Käfer ist tatsächlich an der Ladesäule eingesteckt. Wie ist das möglich? Revive, ein Ende 2020 gegründetes Start-up, elektrifiziert Oldtimer. Vor der Garage in einem unscheinbaren Industriequartier in Brügg bei Biel steht ein E-VW-Käfer, daneben ein Land Rover Defender. Drinnen warten ein weiterer Käfer, ein Mini sowie ein Jaguar darauf, zum Stromer zu werden.
Strenge Regeln in der Schweiz
Den «Blue», so nennt Firmengründer Serge de Wilde den blauen VW-Käfer, habe er 2018 gekauft. «Danach tüftelten wir mit Ingenieuren, wie wir ihn elektrifizieren können», erklärt der 48-jährige gebürtige Niederländer. 2019 war der Umbau fertig, ein Jahr später gründete er Revive. Während in der Schweiz kaum Benziner zu E-Autos umgebaut würden, sei dies in Kalifornien längst ein gut funktionierendes Geschäftsmodell. Nicht zuletzt, weil die Regeln in den USA weniger streng seien. In der Schweiz laufe es etwas anders. «Hier müssen wir alles bis ins Detail zertifizieren lassen. In anderen Ländern zum Beispiel darf ein Akku eines Unfall-Teslas in ein anderes Auto eingebaut werden, in der Schweiz ist dies verboten», erklärt de Wilde. Deshalb arbeiten er und seine Ingenieure, die teilweise vom Switzerland Innovation Park in Biel stammen, mit einem österreichischen Batteriehersteller zusammen.
Nichts fürs kleine Portemonnaie
Ein Benziner zu einem Stromer umzubauen, ist nicht ganz einfach. Erst scannen Spezialisten das Auto mit einer CAD-Software. Dann stellen sich Fragen wie: Wo sollen die Kabel verlaufen? Wie bringt man den Motor ans Getriebe? Wohin kommt die Pumpe, wohin die Heizung? Schliesslich werden die Spezialteile angefertigt. Die Umbauarbeiten kosten je nach Ausstattung zwischen 50 000 und 100 000 Franken. Zusammengebaut werden die Autos von externen Garagisten. Revive ist dann beim Bespielen der Software wieder am Start.
Reichweite ist zweitrangig
Eine der grössten Herausforderungen beim Umbau ist der Akku. Die Batterie ist mit ihren rund 50 Kilogramm verhältnismässig schwer. «Unsere Experten berechnen, wie viel Gewicht wir ins Auto packen dürfen. Das ist entscheidend für die Leistung und die Reichweite des E-Oldtimers», sagt de Wilde. Stichwort Reichweite: Diese ist nicht vergleichbar mit Serienstromern. Heutige Elektroautos kommen je nach Akku auf über 500 Kilometer. Die umgebauten Oldtimer – je nach Anzahl der eingebauten Batterien – auf maximal 250 Kilometer. Aber dies sei gar nicht so entscheidend, sagt de Wilde. Viel wichtiger sei etwa die Möglichkeit, die das bidirektionale Laden bietet: Batterien können nicht nur geladen werden, sondern sind auch in der Lage, den gespeicherten Strom zum Beispiel einem Gebäude zur Verfügung zu stellen. Dies mache gerade bei Elektro-Oldtimern Sinn, sagt der Revive-Chef. «Oldtimer sind Freizeitautos, die vielleicht zehn Tage und 5 000 Kilometer pro Jahr bewegt werden. In der restlichen Zeit kann man die Batterie als Stromspeicher nutzen.»
90 Prozent finden den E-Käfer «supercool»
Wie reagieren die Leute, insbesondere Oldtimerfans, auf die umgebauten Autos? «90 Prozent finden sie supercool», sagt der Revive-Chef. «Die anderen 10 Prozent empfinden den Umbau als eine Tragödie.» Es gebe einige Leute, die der Meinung sind, dass den Oldtimern die Seele geraubt werde, wenn sie mit Strom statt Benzin angetrieben würden. Kein Scheppern, kein Treibstoffgeruch aus dem Auspuff. Allerdings stellt de Wilde allmählich ein Umdenken fest. «Früher war das Verhältnis eher 80 zu 20.» Und wenn die Kritiker dann eine Probefahrt machten, änderten sie meist ihre zuvor negative Ansicht. Das habe er gerade erst an einem VW-Käfer-Treffen erlebt.
Nicht so ruhig wie ein Tesla
Und wie ist nun das Fahrgefühl? Auf einer Spritztour wird schnell klar: Es ist grossartig. Zwar beschleunigen der E-VW-Käfer und der E-Defender nicht so stark wie ein modernes Elektroauto, aber ihr ruhiges Gleiten beeindruckt. Das Auto macht wie einst als Benziner weiterhin Geräusche. Revive versucht die Autos so authentisch wie möglich zu belassen. So gibt es ein Getriebe, und man kann verschiedene Gänge nutzen – etwas, was sonst bei E-Autos nicht möglich ist. Was auch auffällt: Es gibt ein Display, von dem man Daten ablesen kann. Eine Servolenkung fehlt zwar, kann aber je nach Kundenwunsch installiert werden. Ein guter Nebeneffekt: Die Oldtimer sind als E-Autos günstiger im Unterhalt. Geladen wird entweder an einer öffentlichen Ladestation wie jener, die im Grauholz von der BKW betrieben wird. Oder an der normalen Steckdose … oder noch besser: an der eigenen Ladestation zuhause, denn auch auf solche Lösungen ist die BKW spezialisiert.
Die Möglichmacher der Elektromobilität
Bis 2035 nur noch Elektroautos auf Schweizer Strassen. Damit all diese Autos jedoch zuverlässig fahren können, sind genügend Ladestationen nötig – und künftig ein Ausbau des Ladenetzes nötig. Eine grosse Herausforderung.